Die Ostfriesische Landschaft zählt zu den sieben historischen Landschaften, die es im Lande Niedersachsen noch gibt. Sie ist aber die einzige unter ihnen, die sich modernisiert hat.
Als „Landschaft“ bezeichneten sich die Landstände (das waren der geistliche, der adlige und der bürgerliche Stand) in ihrer Gesamtheit, die im späteren Mittelalter und in der älteren Neuzeit Land und Leute gegenüber dem Landesherren vertraten.
In Ostfriesland lagen die Verhältnisse etwas anders:
Das hängt hier mit der Vorgeschichte von Landschaft und Herrschaft zusammen. Ostfriesland erstreckte sich im frühen Mittelalter von der Zuidersee in den heutigen Niederlanden bis an die Unterweser. Hier entwickelte sich während des hohen Mittelalters keine Lehnsherrschaft, Grundherrschaft und Leibeigenschaft. Diese Friesen waren frei und regierten sich bis ins späte Mittelalter selbst, mit wiederholter Zustimmung von König und Reich. Das ganze freie Friesland setzte sich aus vielen einzelnen Frieslanden zusammen, als autonome bäuerliche Landesgemeinden ähnlich wie die gleichzeitigen freien bürgerlichen Stadtgemeinden verfasst. Sie bildeten als sog. Sieben Seelande (eine symbolische Zahl) einen losen Verbund, der als „Ganz Friesland“ (tota Frisia) nur in Notfällen in Aktion trat, und zwar dann hier am Upstalsboom, sich aber nicht wie später die Schweizer Eidgenossenschaft zu einem „republikanischen“ Staatswesen mauserte.
Die Friesen vermochten zwar auswärtige Landesherren von sich fernzuhalten, nicht aber zu verhindern, dass einheimische Lokalgrößen, sog. Häuptlinge, Herrschaft über ihre Genossenschaften gewannen. Als es schließlich östlich der Ems einer Häuptlingsfamilie gelang, einen dauerhaften Ausgleich zwischen Herrschaftsanspruch und Freiheitsrechten zu finden, erntete sie nicht nur die Zustimmung vieler Ostfriesen, sondern auch die Anerkennung von Kaiser und Reich, indem Kaiser Friedrich III. 1464 diese Familie Cirksena zu Reichsgrafen und ihre sich über mehrere östliche Frieslande erstreckende Herrschaft zu einer Reichsgrafschaft in Ostfriesland erhob. Diese Kaiserurkunde ist zugleich der Geburtsschein der Ostfriesischen Landschaft. Denn in ihr wird ausdrücklich den „gemeinen Ostfriesen“ versichert, dass all die Rechte und Freiheiten, die sie seit Vorzeiten besitzen und von Friedrichs III. Vorgängern bestätigt bekommen haben, auch weiterhin ihre Gültigkeit behalten sollen.
Auf dieser Grundlage entwickelte sich dann im Laufe von knapp drei Generationen die Landschaft zur Vertretungskörperschaft von drei Ständen, diese nun aber, statt mit einem geistlichen, mit einem völlig gleichberechtigten bäuerlichen Stand. Das war ein Novum im Vergleich mit anderen Landschaften. Als weiteres Novum kam die überragende politische Bedeutung hinzu, die die Ostfriesische Landschaft in Auseinandersetzung mit ihren Grafen auf der Grundlage ihrer Freiheitsrechte und dem Hintergrund des Freiheitskampfes der Niederlande um 1600 errang. Der auf der Grundlage mehrerer Landesverträge erzielte, von den Generalstaaten (d.h. –ständen) vermittelte und garantierte Ausgleich hielt als Ergebnis die Hoheit der Landschaft in der Gesetzgebung, Steuererhebung und Rechtsprechung fest. Ostfriesland wurde ein Ständestaat.
Damit konnte fortan die Ostfriesische Landschaft eher als der ostfriesische Fürst hier von sich sagen: Der Staat bin ich! Diese besondere hoheitliche Position erkannte 1678 Kaiser Leopold I. auch dadurch an, dass er dieser Landschaft ein eigenes Wappen und Siegel verlieh. Der Upstalsboom darauf war eine Demonstration friesischer Freiheit gegenüber fürstlichem Absolutismus und Ausweis ihrer Legitimation. An diesen Rechten und Freiheiten hat auch Friedrich d. Gr. nicht gerüttelt, als er 1744 nach dem Aussterben der Cirksena Fürst von Ostfriesland wurde, hatte doch die Landschaft die Anwartschaft der Preußen für diesen Fall mit auf den Weg gebracht. Napoleon schaffte dagegen diese Privilegien ab. Erst der Wiener Kongress setzte sie 1815 wieder in Kraft. Aber die nun in Ostfriesland folgenden Könige von Hannover (und Großbritannien) wollten von einem Sonderstatus Ostfrieslands und seiner Landschaft nichts wissen.
30 Jahre lang kämpfte die Landschaft um ihre Souveränität, bis man sich 1846 auf eine neue Verfassung, die diese allerdings einschränkte, einigte, und die Ernst August nun unterschrieb. An der Decke des Ständesaales, den sie sich jetzt baute, brachte sie ihr Selbstverständnis und Selbstbewusstsein noch einmal sinnfällig zum Ausdruck. Die Verfassung von 1846 galt zwar knapp 100 Jahre, aber infolge der allgemeinen politischen und sozialen Veränderungen sind während der zweiten preußischen Zeit Ostfrieslands durch Verfassungsänderungen von 1867 bis 1910 die Rechte der Landschaft wesentlich beschnitten worden: Ihre Mitwirkung bei der Gesetzgebung wurde aufgehoben, mit der Steuererhebung war es vorbei.
Was ihr geblieben ist, war – und ist noch – die 1754 von Friedrich d. Gr. begründete und ihr übertragene Ostfriesische Landschaftliche Brandkasse sowie die von der Landschaft 1871 gegründete Ostfriesische Sparkasse, die ihr allerdings 1943 entzogen wurde. Nur noch in der Verwaltung ihres eigenen Vermögens war sie selbständig, in der Wahrnehmung kommunaler Angelegenheiten nicht mehr. In der Weimarer Zeit bezuschusste sie aus dem Reingewinn der Sparkasse zahlreiche kulturelle und wissenschaftliche, soziale und pädagogische sowie auch landwirtschaftliche Vereine und Verbände, Einrichtungen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen. Sie reagierte dabei mehr, als dass sie agierte. Als in den 1920er Jahren den in den Augen der Staatsregierung obsolet gewordenen Provinziallandschaften das Ende drohte, kamen die führenden Persönlichkeiten der Ostfriesischen Landschaft nicht auf die Idee, statt nur mit der Gießkanne zu hantieren, selbst sinnvolle Dinge auf die Hörner zu nehmen.
Das änderte sich, als nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten von Seiten des Oberpräsidenten in Hannover die Auflösung der Provinziallandschaften verstärkt weiter betrieben wurde. Die Gauleitung in Oldenburg hielt demgegenüber an einer Erhaltung der Ostfriesischen Landschaft fest, dachte dabei aber an eine Umwandlung: Für kulturelle Zwecke sei sie es wert, erhalten zu bleiben – sie müsse allerdings mit dem Staat in Einklang gebracht werden. Das Verhalten der landschaftlichen Führung gegenüber dem Nationalsozialismus war nicht rühmlich. Von Widerstandsrecht und friesischer Freiheit, wie sie am Ende des 16. Jahrhunderts formuliert und mobilisiert worden waren, keine Spur mehr. Aber bestehen bleiben wollte man unter allen Umständen, war doch die Landschaft das unverwechselbare Stück Ostfriesland. Schon länger hatte sie selbst auf den Wogen der Heimatbewegung ihre Entwicklung zur einer Heimatkultur-Institution eingeleitet, um sich damit zusätzlich und zeitgemäß zu legitimieren.
Hier lag jetzt ihre Chance, die man sofort aktiv und offensiv ergriff. Modernisierung und Nazifizierung der Landschaft gingen einher und fanden 1942 ihren Niederschlag in einer völlig neuen Verfassung, die die Landstände selbst beschlossen. Sie konstituierte Führerprinzip und Berufungsverfahren. Jetzt bekamen aber auch breite Bevölkerungskreise eine Möglichkeit zur Mitarbeit, denn Vorschläge für die Berufung der Mitglieder der Landschaftsversammlung konnten nicht nur von den ostfriesischen Dienststellen der NSDAP sowie den Gemeinden, Städten und Kreisen, sondern auch von den ostfriesischen Heimatvereinen und allen Ostfriesen gemacht werden.
Die Institutionalisierung und Professionalisierung der landschaftlichen Kulturarbeit durch Schaffung von Einrichtungen und Heranziehung von Fachleuten haben zwischen 1933 und 1945 ihren Anfang genommen. Die teils freiwillige, teils erzwungene Einbindung der Heimatbewegung in nationalsozialistische Herrschaftszusammenhänge geschah im Falle der Ostfriesischen Landschaft zudem ausgeprägter als anderswo, da von ihrer Herkunft und ihrem Selbstverständnis als ehemaliger “Landesregierung“ her eine engere Anlehnung an den Staat nur folgerichtig war, wollte sie in dieser Tradition weiterleben.
Nach 1945 standen für den Wiederaufbau der Landschaft zwei Möglichkeiten zur Debatte: entweder man machte mit der Heimatbewegung weiter, die jetzt von Politik nichts mehr wissen wollte, oder man wurde Teil des neuen Staatswesens. Letzteres hieß: aus der Landschaftsversammlung wird ein Bezirkstag zwischen Kreistag und Landtag. Als die neue Landesverfassung keine Bezirkstage vorsah, wollten viele, vor allem die konservativen Kräfte, die Landschaft zu einer Art „Ostfriesischer Heimatbund“ machen, der die zuletzt 1942 formulierte Förderung der kulturellen Belange Ostfrieslands und der Friesen einfach fortsetzte.
Aber andere wollten die historische, elementare Verbindung der Landschaft mit dem Staat nicht so ohne weiteres aufgeben und sahen hierin einen guten Ansatz für einen neuen Anfang. So fiel vor 50 Jahren die Entscheidung zugunsten eines Kompromisses, der zudem nach dem Verlust der Sparkasse die Brandkasse weiterhin in der Obhut der Landschaft ließ. Wesentlich war, dass die Ostfriesische Landschaft jetzt demokratisch legitimiert und parlamentarisch organisiert wurde.
Die ostfriesischen Kreistage und der Rat der Stadt Emden wählen 49 ordentliche Mitglieder der Landschaftsversammlung, wozu jedoch kulturelle Organisationen, namentlich die Heimatvereine, Vorschläge machen können. Die Landschaftsversammlung wählt einen Präsidenten und 7 Landschaftsräte, die nicht der Landschaftsversammlung anzugehören brauchen. Sie sind für verschiedene Aufgabengebiete zuständig und bilden das Landschaftskollegium, das ebenfalls zur Landschaftsversammlung gehört. Durch die erweiterte Auswahlmöglichkeit kommt hier die Parteiendemokratie nur mittelbar zum Tragen.
Die Forderung, die Landschaftsversammlung solle eine Vertretung der gesamten ostfriesischen Bevölkerung darstellen, war zunächst nur unzureichend erfüllt worden, solange nur Ostfriesen wählbar waren. Außerdem sollten sich diese auf den landschaftlichen Aufgabengebieten bereits hervorgetan haben oder fortan betätigen wollen. Ihrer Rechtsnatur nach eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, war die Ostfriesische Landschaft jetzt ein unabhängiger Selbstverwaltungskörper, ein autonomes Kulturparlament, als das sie in ihrer Selbstverwaltung freilich gegenständlich nicht allumfassend ist. Sie wird zudem durch Artikel 72 der Niedersächsischen Verfassung in ihrem Bestand sowie in ihrer Organisation und ihren Aufgaben geschützt; die Verfassung gibt darüber hinaus dem Staat wie den kommunalen Gebietskörperschaften damit vor, alles zu unterlassen, was die autonome und selbstverantwortliche Arbeit der Landschaft beeinträchtigen könnte, sie haben diese vielmehr zu unterstützen und zu fördern.
Mit dieser Demokratisierung fand die Landschaft nachhaltig Anschluss an die Entwicklung der modernen Gesellschaft und die zukunftsträchtige Möglichkeit der weiteren Modernisierung ihrer Institution wie der Region insgesamt. Mit der politischen Einbindung in den demokratischen Staat und mit einer demokratischen Kontrolle durch die regionalen politischen Kräfte ist die Ostfriesische Landschaft ihrer traditionell engen Bindung an den Staat treu geblieben. Die Gebietskörperschaften waren nun an die Stelle der Stände getreten. Mit dieser Basis und Struktur unterschied sie sich wesentlich von dem Rest der Heimatbewegung, wenngleich sie weiterhin ein – anfangs auch nicht unerheblicher – Teil von ihr blieb.
Denn ihre Hauptaufgabe blieb die heimatgebundene Kulturpflege, und insbesondere wo und wie sie diese nicht nur befördern, sondern auch selbst betreiben sollte, wurde konkret festgelegt. Es waren die Aufgabengebiete Familienforschung / Wissenschaft und Schrifttum / Kunst und Kunsthandwerk / Naturkunde und Naturschutz / Volkskunde und Brauchtumspflege / Museen, Büchereien und Archive / Baupflege und Gedenkstätten. Sie waren identisch mit denen in der nationalsozialistischen Zeit. Und wie damals wurden zur Erfüllung der Aufgaben auf diesen Gebieten Arbeitsgruppen gebildet, die jeweils von einem Landschaftsrat geleitet wurden. Diese Arbeitsgruppen waren jedoch jetzt Ausschüsse der Landschaftsversammlung, d. h. deren Mitglieder sollten darin praktische Kulturarbeit leisten. Bei der Qualifikation, die von diesen gefordert war, konnte man das ja auch durchaus erwarten.
Trotzdem konnten zu den gewählten Mitgliedern weitere sachkundige Mitarbeiter in die Arbeitsgruppen berufen werden. Diese Bestimmung erwies sich als eine weittragende Öffnung, die am Ende nicht mehr von der Verfassung gedeckt war. Denn die von außen hinzugekommenen freien Mitarbeiter übertrafen die gewählten schon bald weit an Zahl. Sie überwogen in der kulturellen Gruppenarbeit, die sich vom Sammeln und Erfassen über das Erschließen und Erforschen bis zu Ausstellungen und Veröffentlichungen erstreckte. Außerdem wollten die großen Bestände an Akten, Büchern und Kunstgegenständen archivalisch, bibliothekarisch und museal versorgt werden. Die Landschaftsverwaltung hatte aber nur drei hauptamtliche Angestellte, mit denen sie auch noch die Geschäfte des Friesenrates zu führen hatte, in dem sich die Nord-, Ost- und Westfriesen über die Grenzen hinweg zu kultureller Zusammenarbeit, ausdrücklich als Beitrag zum Zusammenwachsen Europas formuliert, 1955 zusammengefunden hatten.
Bei der Bücherei wie dem Archiv und bei der Geschäftsstelle für die Familienforschung halfen pensionierte Fachkräfte regelmäßig und studentische Hilfskräfte gelegentlich aus, während beim historischen Jahrbuch wie bei den wissenschaftlichen Schriftenreihen der Leiter des Staatsarchives nebenamtlich das Lektorat für den Verlag der Landschaft wahrnahm. Kurz und gut: Die Entwicklung zeigte schon bald die Grenzen dieser Arbeitsweise auf, so dass, wollte man weiter vorankommen, weitreichende institutionelle und personelle Konsequenzen zu ziehen waren.
Mit der Einstellung eines Wissenschaftlers wurde dazu 1956 der erste Schritt getan. Mit dieser Professionalisierung setzte eine Erweiterung des Horizonts wie eine Verlagerung der Schwerpunkte ein (was übrigens damals auch für die Landschaftliche Brandkasse galt). Das Schlüsseljahr war 1960. Nicht nur, dass jetzt auch Nicht-Ostfriesen, sofern sie seit 10 Jahren in Ostfriesland lebten, in die Landschaftsversammlung gewählt werden konnten; das war überfällig, blieb aber immer noch hinter dem Vorkriegsstand zurück. Eine Revolution bedeutete der Vorschlag von Seiten der Gebietskörperschaften, die Landschaft zu einer echten politischen Vertretung des Landes auszubauen und sie mit zusätzlichen gesamtostfriesischen Aufgaben zu betrauen, die z. B. die Bezirksplanung beträfen oder Wirtschaft, Verkehr und Handwerk oder Land- und Wasserwirtschaft oder auch die Erwachsenenbildung. Das Landschaftskollegium bejahte solche neuen Zielsetzungen und schlug seinerseits Dezernate für die Denkmalpflege und Landschaftspflege oder die Einrichtung einer Landesbibliothek vor.
Für diese Vision der Kommunen war die Zeit jedoch noch nicht reif. Aber sie entwickelte eine nachhaltige Schubkraft, die zukunftsweisend der Landschaft Schritt um Schritt die Institutionalisierung verschiedener Arbeitsbereiche und eine entsprechende Qualifizierung ihrer Tätigkeiten brachte. Denn das immer deutlicher als strukturelles Defizit schmerzlich empfundene völlige Fehlen größerer kommunaler wie staatlicher Einrichtungen der Wissenschaft und Kultur in Ostfriesland wies hier der Landschaft die Rolle zu, diese Lücke aufzufüllen. Sie musste dafür freilich entsprechend ausgerüstet werden.
Nach Einführung einer Grundfinanzierung durch Umlage richteten die Gebietskörperschaften als erstes bei der Landschaft die Archäologische Landesaufnahme und Bodendenkmalpflege 1961/62 ein. 1963/64 ermöglichte im Gegenzug das Land, das ihr inzwischen ebenfalls eine institutionelle Förderung zukommen ließ, der Landschaft den Bau einer wissenschaftlichen Regionalbibliothek: Die Landschaftsbibliothek wurde nun eine ostfriesische „Landesbibliothek“. Die dabei geübte Bescheidenheit erwies sich bald als Fehleinschätzung. Nach zwei Jahrzehnten platzte sie aus allen Nähten. Nach einem weiteren Jahrzehnt konnte das Land nicht länger umhin, für diese Bibliothek 1994/95 einen großzügigen Neubau zu finanzieren.
Damals, 1964, formulierte auch die Landschaft selbst ihre Zielvorstellungen neu. Darin bekamen Wissenschaft und Forschung einen hohen Stellenwert. Auf der regionalen Ebene sah sie ihr primäres Betätigungsfeld. Ihren Kulturbegriff erweiterte sie über das Heimatgebundene hinaus. Ihre besondere Funktion sah sie künftig in der Abstimmung und Bündelung kommunal und lokal begrenzter Aktivitäten. Und das alles hieß denn auch: Verfassungsänderung. Zunächst aber erfolgte 1970-72 der nächste Schritt auf dem Wege der Institutionalisierung: der Bau eines Forschungsinstituts für den friesischen Küstenraum, vom Land so gewollt und von den Kommunen begrüßt, weil es das dringend benötigte Fundmagazin mit sich brachte.
Mitte der 70er Jahre bekam schließlich auch der Kulturbereich den nötigen und neuen Schub von Seiten des Landes durch ein Programm zur Förderung und Verbesserung der kulturellen Infrastruktur sowie einen Modellversuch mit Heimatmuseen. Mit einem Kulturbüro und einer Museumsfachstelle konnte die Landschaft der Kultur in Ostfriesland nun auf die Sprünge helfen.
Fort- und Weiterbildung der ehrenamtlichen Akteure, Bündelung und Vernetzung der lokalen Potentiale, Räume und Sparten übergreifende Kooperation und Koordination wurden nun mit Hilfe landschaftlicher Servicestellen möglich. Die Kulturarbeit bekam eine neue, regionale Qualität durch Gemeinschaftsprojekte und Verbundsysteme mit der Landschaft als Leitstelle. Die Arbeitsweise, mit so wenig hauptamtlichen Profis wie nötig so viele ehrenamtliche Kräfte wie möglich zu mobilisieren, zu qualifizieren und zu integrieren, hat sich bewährt. Das Land hat dieses Regionalprogramm inzwischen eingestellt. Bestehen blieben weitgehend die Fach- und Servicestellen bei der Landschaft, die in einer Kulturagentur institutionell gebündelt wurden. Ihnen wurden in jüngerer Zeit noch die regionalsprachliche Fachstelle und das Organeum von Seiten des Landes und vorübergehend ein Kulturtourismus-Büro von Seiten der Kommunen beigesellt.
Eine Aufgabenerweiterung bedeutete schließlich am Ende der 70er Jahre die Einrichtung eines ostfriesischen Bildungszentrums bei der Landschaft durch das Land und die 1993 erfolgte Übertragung der regionalen Lehrerfortbildung. Dieses Regionale Pädagogische Zentrum der Landschaft ist ein schulnahes Dienstleistungs- und Kommunikationszentrum zur Förderung und Unterstützung der Schulen und Lehrkräfte Ostfrieslands, das stark frequentiert wird. Dass auch diese Einrichtung mit einem minimalen hauptamtlichen Stab so produktiv ist, liegt auch hier daran, dass in rund 20 Arbeits- und Gesprächskreisen ca. 200 Lehrerinnen und Lehrer freiwillig und unentgeltlich mitarbeiten.
Diese ganze Entwicklung und Erweiterung der Landschaft führte 1989 auch zu der überfälligen Anpassung des Verfassungstextes an die veränderte Verfassungswirklichkeit. Als Aufgaben und Ziele wurden jetzt nur noch allgemein die Kultur, Wissenschaft und Bildung formuliert. Es wird nun auch klar unterschieden zwischen Ausschüssen (die Beschlüsse fassen), Arbeitsgruppen (die Projekte durchführen) und Einrichtungen (die Dienste leisten). Die Landschaftsversammlung bleibt auch nicht länger das einzige Organ, sondern weitere Organe werden das Landschaftskollegium und der Landschaftsdirektor. Die Heimatvereine sind als vorschlagsberechtigte Organisationen nicht länger besonders hervorgehoben, und in die Landschaftsversammlung kann nun jeder, der zu einer kommunalen Vertretungskörperschaft wählbar ist, gewählt werden.
Damit wurde sie wirklich ein vollwertiges regionales Parlament und echte Repräsentanz der gesamten Bevölkerung Ostfrieslands. Nicht nur die historische Landschaft mit ihren hoheitlichen Vorrechten und ihrer bäuerlichen Ständekurie war singulär, sondern auch die moderne ist es mit dieser ihrer Struktur und Funktion.
Die moderne Landschaft verfolgt mit ihrer Tätigkeit eine Kulturpolitik, die in erheblichem Umfang von den Betroffenen und Interessenten selbst bestimmt, gestaltet und verantwortet wird. Denn Kultur ist ein Feld, das – und zwar ganz besonders in Ostfriesland – von privatem Engagement und privaten Initiativen bebaut wird. Die Ostfriesische Landschaft versteht sich von daher als eine Kultureinrichtung, die sich die in ihrer Region vorhandenen kulturellen und sozialen Kompetenzen der Bewohner zunutze macht, diesen die Möglichkeit zur Mitwirkung und Mitgestaltung in ihren Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Einrichtungen gibt, ja: deren ehrenamtliche Mitarbeit sucht und fördert.
Dergestalt ist die Landschaft ein Modellfall für den allgemeinen Wandel, der auf eine stärkere Eigenverantwortung des Individuums abzielt. In diesem Sinne sind auch überschaubare, identifizierbare Regionen nicht von gestern, sondern durchaus von morgen. Die Menschen möchten auch – und vielleicht gerade – in Zeiten der Globalisierung in Grenzen leben, die ihnen Orientierung und Identifizierung ermöglichen. Aber diese Grenzen dürfen nicht einfrieden, sondern müssen auch überschritten werden können. Global denken, regional handeln ist daher die Devise.